Gute Miene zum bitterbösen Spiel

DVD-Kritik: Eden
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Im Verleih von Ascot Elite

Die erste Szene reisst brutal in den Film. Es ist 1994 und eine junge Frau liegt gefesselt in einem Kofferraum. Rückblick. 24 Stunden früher ist die gleiche Frau unbefangen, quatscht mit einer Freundin, raucht heimlich Zigaretten und schleicht sich mit ausgeliehenem Ausweis in eine Bar - wie Teenager halt so sind. Die junge Frau heisst Hyun Jae (Jamie Chung, «Sucker Punch», «Hangover 2»), ist Amerikanerin mit koreanischer Abstammung, und begegnet in eben jener Bar ihrem Verhängnis. Ein adretter Feuerwehrmann wickelt sie um den Finger und lädt sie ein, weiterzuziehen. Die Nacht endet im Kofferraum und damit ist auch das Leben, wie die 17-jährige es gekannt hat, vorbei. Sie versteht nicht, was mir ihr geschieht, ist längst in den Händen skrupelloser Menschenhändler. Ab jetzt heisst sie Eden und wird irgendwo in der Wüste zusammen mit etwa zwei Dutzend minderjähriger Frauen in Lagerhallen gefangen gehalten und an zahlungswillige Freier verkauft oder zu Pornos gezwungen. Damit die Frauen nicht fliehen können, werden sie mit elektronischen Fussfesseln kontrolliert. 

 

Sogar die Polizei war in den Menschenhandel involviert

 

Eden ist anfangs bockig und beisst den erst Freier sogar ins beste Stück. Während ihrer Gefangenschaft freundet sie sich mit Priscilla (Jeanine Monterroza) an, die von einem Freier schwanger wird und weg gebracht wird. Später erfährt Eden, dass die Menschenhändler das Baby von Priscilla verkauft haben. Nach und nach begreift sie, dass sie bessere Chancen hat, in der Hölle zu (über)leben, wenn sie gute Miene zum bösen Spiel macht. Eden gewinnt das Vertrauen ihrer Peiniger, steigt auf und muss nicht mehr Freier bedienen. Sie wird zur rechten Hand von Vaughan (Matt O’Leary, «Die Hard 4.0», «Brick») der den Laden schmeisst, sein schlechtes Gewissen aber mit Drogen betäubt. Die schützende Hand über den Frauenhandel hält Bob Gault (Beau Bridges, «The Desendants», «Die fabelhaften Baker Boys»), ein schmieriger Provinzpolizist und Chef des Frauenhandels. Eden überlebt Tag für Tag und wartet geduldig auf eine Möglichkeit, zu fliehen. Bis sich plötzlich ein Fluchtfenster öffnet und sie ihre Chance ergreift. 

 

Der Film erzählt die wahre Geschichte von Chong Kim, deren Erfahrungen als Zwangsprostituierte für die Grundlage des Drehbuchs dienten, und das lässt einen am Ende des Films schwer schlucken. Dass Menschenhandel ein nur allzu reales Verbrechen ist, ist hinlänglich bekannt - so etwas geschieht auch in der Schweiz und das macht hilflos. Dass das Schicksal von Eden im Film einen berührt, liegt neben der Dramatik des realen Hintergrunds an der Leistung von Jamie Chung. Sie spielt die Figur durchgehend teilnahmslos. Anfangs starrt sie nur ins Leere und liegt auf ihrer Pritsche. In der Phase, in der sie sich innerhalb der Organisation Ansehen verschafft, lässt sie mal ein scheues Lächeln über ihr Gesicht huschen, aber nur um die zunehmende emotionale Abstumpfung zu unterstreichen, denn abgebrüht oder sogar so, als ob Eden ihre Rolle in der Organisation geniessen würde, wirkt Jamies Spiel nie. Der Film lebt ganz stark von seiner Hauptdarstellerin, die das Grauen, das ihre Figur erlebt, körperlich so ausdrückt, dass der Zuschauer oft mitleidet. Leider bleiben aber die anderen Darsteller, allen voran Beau Bridges, etwas blass, weil sich die Handlung sehr stark und konsequent auf Eden konzentriert. 

 

Der Film verpasst den Anschluss an die Realität

 

Doch damit macht Regisseurin Megan Griffiths einen kleinen Fehler: sie verpasst den Anschluss an die tatsächlich passierte Geschichte. Bei ihrer dritten abendfüllenden Regiearbeit möchte die Amerikanerin zeigen, wie schrecklich Frauen- und Menschenhandel ist, und das gelingt ihr zu grossen Teilen auch ganz gut, in dem sie das Leiden von Eden ungeschönt darstellt und auf eine subtile Inszenierung ohne Sensationsgier setzt. Durch den Fokus auf Eden schafft sie jedoch viele Fragen, die auch am Schluss nicht beantwortet werden. Wurden die Hintermänner des Menschenhändlerrings verhaftet, nachdem Chong Kim, auf deren Erfahrungen der Film basiert, an die Öffentlichkeit getreten ist? Ebenfalls ist schade, dass darauf verzichtet wurde, zu zeigen oder über Schrifttafeln zu erwähnen, wie sich das Leben der Hauptfigur nach der Flucht entwickelt hat. Denn man schliesst Eden ins Herz, leidet mit ihr und fragt sich, speziell nach der letzten Szene, wie und ob sie ihr Leben nach den psychischen und körperlichen Peinigungen und Erlebnissen in den Griff bekommen hat. Davon abgesehen hat Griffiths stilistisch guten einen Weg gefunden, mit erdigen Farben und einer teilweise symbolisch tauben Tonspur, zu unterstreichen, wie es in Eden wirklich aussieht und wie sie die Leiden stumm erträgt. Sowohl Griffiths als auch Jamie Chung wurden am South By Southwest Festival in Austin, Texas, für ihre Leistungen ausgezeichnet und das ist sicherlich verdient. 

 

Der Film schafft es zu berühren, sorgt für Kopfschütteln und man kann gar nicht anders, als mit den Figuren mitzuleiden. Denn es ist wichtig, dass auf das Leid, das Frauen, die zur Zwangsprostitution gezwungen werden, aufmerksam gemacht wird. Es passiert täglich, auf der ganzen Welt, auch vor unseren Haustüren. Diese Ziel erreicht der Film, verpasst aber am Schluss die Chance, nochmals bewusst darauf aufmerksam zu machen, dass der Film eine wahre Geschichte erzählt. Immerhin engagiert sich die reale Eden, Chong Kim, täglich aktiv im Kampf gegen den Menschenhandel. 

 

  • Eden (USA 2012)
  • Regie: Megan Griffiths
  • Darsteller: Jamie Chung, Scott Mechlowicz, Matt O’Leary, Beau Bridges, Tantoo Cardinal, Tracey Fairaway
  • Laufzeit: 94 Minuten
  • Verkaufsstart: 21. März 2013
Patrick Holenstein / Fr, 05. Apr 2013